PIZZOCCHERI, Valtellina und MANGOLD

Wie kamen denn die Bewohner des ‚Valtellina‘, einem breiten Tal nordöstlich des Comer Sees, das von über 2000 Meter hohen Bergen umringt ist, dazu, Pasta aus Buchweizen herzustellen? Traditionell und schon seit Jahrhunderten. Buchweizen ist eine Knöterichart, dessen Verwandte eher als Unkräuter bekannt sind, und der so gar nicht mit dem Weizen verwandt ist, nicht einmal über Ecken. Botanisch gesehen. Buchweizen, der vom Aussehen eher unscheinbar ist mit kleinen weißen Blüten, gelappten Blättern und roten Stängeln, wird als Pseudogetreide bezeichnet. Ich lese „In Österreich stammen unter anderem aus dem Jauntal Erwähnungen aus dem Jahr 1442. In diesem Gebiet wird der Buchweizen auch heute noch kultiviert.“ Das Tal liegt an der Grenze zu Slowenien. Weit weg vom Valtellina (Veltlin), aber es ist auch so ein hochgelegenes Tal, das von hohen Bergen umringt ist.

Der Buchweizen, die Zentralalpen und heiße Sommer

Ist die Gemeinsamkeit ein zentralalpines Klima? Der Buchweizen verträgt keine Kälte. Er ist einjährig und braucht kurze aber heiße Sommer. Ich lese weiter, dass Buchweizen in China seit 4600 Jahren und in Japan seit 3500 Jahren kultiviert wurde. In Japan sind die traditionellen Soba Nudeln aus Buchweizenmehl. Aber auch aus China stammt er nicht, sondern aus den sibirischen Steppen und aus den Steppen der heutigen Ukraine. Von dort aus kam der Buchweizen wohl nach Mitteleuropa, über die Skythen, so heißt es. Und verschwand wieder als die Kartoffel zu uns gelangte und vermehrt Weizen angebaut wurde. Auch in Italien – bis auf ein Gebiet im Norden Italiens, dem Veltlin, italienisch Valtellina genannt. Und auch in Poschiavo (Puschlav) in der Schweiz ist er noch erhalten, das ist ein Tal nördlich des Veltlin. Von dort heißt es: „Diese graukörnige Sorte hat eine kurze Vegetationszeit und wurde traditionell im Puschlav angebaut. Gut geeignet für Höhenlagen. Wahrscheinlich wurde sie ursprünglich aus dem Veltlin ins Puschlav gebracht. Das Buchweizenmehl wird für die traditionellen Pizzoccheri verwendet.“ Wieder ein zentralalpines Gebiet: heiße, trockene Sommer und kalte Winter sind dafür typisch. „Heimat sind die Steppen der hochgelegenen Gebirgsländer Zentral- und Ostasiens mit warmen, kurzen Sommern. Älteste Funde stammen aus dem 7. Jh. v. Chr. In der Schweiz wurde er ab dem 15. Jh. angebaut.“ Der Buchweizen braucht Steppenklima und Wärme, schon ab wenigen Plusgraden leidet er. Anspruchslos ist er, was die Böden angeht. Und heute wird er auch bei uns wieder angebaut, der Buchweizen, gilt er doch als Superfood, wegen seines Eiweißgehaltes und da er keinen Weizenkleber enthält ist er vor allem für Menschen mit Glutenunverträglichkeit geeignet. Der fehlende Weizenkleber macht ihn jedoch auch zum Kuchen- oder Brotbacken ungeeignet, außer man mischt wieder Mehl dazu.

Eine Akademie für die Pizzoccheri

Der Geschichte und Tradition der Pizzoccheri, speziell aus Teglio, widmet sich die „Accademia del pizzocchero di Teglio“. Dort steht unter anderem „Während im restlichen Italien der Anbau dieser Pflanze fast verschwunden ist, stellt sie im Veltlin trotz des drastischen Rückgangs der lokalen Produktion weiterhin eine beeindruckende Attraktion dar, da Buchweizenmehl die Grundzutat der typischen Gerichte ist, die mittlerweile auch im Ausland berühmt sind die Grenzen des Veltlins: Pizzoccheri, Sciàt, Polenta Taragna und Chisciöi.“ Weiter steht dort, dass der Ursprung des Pizzoccheri-Gerichts wird nicht durch ein genaues Datum oder Ereignis belegt ist, sondern durch eine Reihe kulinarischer Hinweise aus Graubünden, zu dem damals auch das Veltlin gehörte. „Ab Beginn des 19. Jahrhunderts tauchte auf den Tischen der wohlhabendsten Bauern das Gericht auf, das dem heute bekannten am ähnlichsten ist: Grobe Buchweizen-Tagliatelle wurden je nach Land in unterschiedlichen Anteilen mit Weißmehl vermischt und in reichlich Salzwasser gekocht auf die Kartoffeln, Kohl oder Rippchen (womit ‚Coste‘ bzw. Mangold gemeint ist) oder gehackte grüne Bohnen gelegt wurden.“

Der Autor erwähnt „Perzockel“ als eine Art Tagliatelle aus Buchweizen und zwei Eiern. Die Nudeln wurden in Wasser gekocht, dann mit der Butter versetzt und sofort mit dem geriebenen Käse bestreut. In Bauernhöfen und auf Almen war es üblicher, Gnocchi aus den gleichen Zutaten anstelle von Tagliatelle herzustellen, da es oft keinen Tisch gab, an dem sie zubereitet werden konnten.

Sowas gibt es nur in Italien, ganze Akademien widmen sich dort der Erhaltung traditioneller Lebensmittel und Zubereitungsarten. Und dafür liebe ich Italien! Für ihre kulinarischen Traditionen und dafür, dass sie sich für deren Erhaltung einsetzen. Ihre Schätze und Kochkünste bewahren und weiterleben. Und für ihre Pasta liebe ich Italien, und für ihre Tomaten und für…

Die Pizzoccheri, der Comer See und der Mangold

Zurück zu den Pizzoccheri. Meine Geschichte mit den Pizzoccheri beginnt am Norden des Comer Sees und hat auch was mit dem Mangold zu tun. Meinem Namensvetter aus der Welt der Kulturpflanzen. Denn die Pizzoccheri werden traditionell mit Mangold gereicht oder anderem winterlichen Blattgemüse. Aber eigentlich beginnt meine Geschichte mit einem Urlaub am Nordufer des Comer See, der Lario genannt wird dort, und einem Besuch in einer bäuerlichen Gaststube des Agriturismo Zertin, in der Nähe von Peglio, das so ähnlich klingt wie Teglio, das im nicht weit davon entfernten Valtellina liegt. Und sie beginnt mit einer kurvigen Fahrt durch einen dunklen Wald und Nebel, so dass du die Hand vor den Augen nicht mehr sehen konntest. Und der glücklichen Landung in der Bauernstube, wo es eine große Portion warmer mit kräftigem Mangold vermischter Pizzoccheri gab, die dick mit Fontina Käse überbacken waren. Dazu gab es einen dunkelroten Wein namens Chiavennasca, eine autochthone Sorte hinter der sich jedoch der Nebbiolo verbirgt. Nebbiolo kommt von Nebbia, dem Nebel, und damit hatten wir wieder auf der Rückfahrt zu kämpfen. Es war Ende Oktober. Dieses Jahr waren wir wieder am Comer See, doch diesmal direkt in Como und es war mit um die 10 Grad mild und ohne Nebel. Im Dezember! Abends konnte man noch draußen sitzen auf den Piazzi rund um dem Dom zu Como. Pasta essen am „Duomo di Como“. Und was gab es da? Klar, Pizzoccheri natürlich. Zuhause werde ich alles nachkochen, was ich in Italien an Pasta gegessen habe, schwor ich mir. Das gehört zu meinen guten Vorsätzen für das Neue Jahr. So wie Italienisch lernen. Mit den Pizzoccheri fange ich an.

Und ich habe Mangold gekauft! Meinen Namensvetter, klar. Während bei uns die Saison schon vorbei ist, gibt es ihn in Italien noch frisch auf dem Markt. So in Como. Dort heißt er „Coste“, nicht „bietola“. Die Bezeichnung ‚Coste‘ kommt von „Rippchen“. Also, Rippenmangold. Neben dem gibt es ja noch den Blattmangold, bunten Mangold…und ihm habe ich einen ganzen Artikel gewidmet [mehr dazu hier….].

Das Rezept

Überbackene Pizzocheri mit Mangold, Kartoffeln und Schweizer Bergkäse

Zwei kräftige ‚Coste‘ habe ich mit nach Hause genommen und eine große Packung Pizzoccheri auch. Apropos italienisch lernen. Mit dem Lesen der Kochanweisungen – auf Italienisch – auf der Verpackung ging es schon los…

PIZZOCHERI 
COME SI CUCINANO
„Fate cuocere in abbondante aqua salata alcune (=reichlich Salzwasser) patate tagliate a cubetti (= Kartoffeln in Würfel geschnitten.) Lasciare bollire per 5/8 minuti quindi aggiungere la verdura tagliata grossolanamente (=grob, roh), a scelta: verze, spinaci o coste.“ ‚Verze‘ ist Kohl, ‚Spinaci‘ ist Spinat und ‚Coste‘ ist der Mangold.' Weiter geht es mit: „Portare a ebollizione, aggiungere i Pizzoccheri (500gr) et fate bolliere per 10/15 minuti (=das ist interessant, zuerst die Kartoffeln, dann das Gemüse und die Pizzoccheri werden im Kochwasser des Gemüses gekocht, sehr gute Idee!). Scoltate il tutto e poneteli su strati in un piatto di portata (= Ich nehme an, das heißt sieben und in eine Platte füllen). Cospargete ogni strato con pezzettini di formaggio magro (tipo latteria, casera o similii

Das Rezept ist ein Rezept für 5 Personen(500g!) ich habe es auf 3 Portionen reduziert. Woraus aber vier wurden. Da es sehr gehaltvoll ist, kann man den Rest auch sehr gut einfrieren. Nach dem Auftauen habe ich noch ein wenig Brühe und Schmand dazu gegeben und alles nochmal dick mit Käse überbacken. Ah ja und Butter ist wichtig! Ganz viel Butter.

Die Zutaten (für 4 üppige Portionen)

  • 300 g kleine Kartoffeln, gewürfelt
  • 300 g Mangold, grob gehackt
  • 300 g Pizzoccheri
  • 50 g Butter
  • 4 Knoblauchzehen
  • Ein paar Salbeiblätter
  • 150 g Käse, z.B. Fontina oder ein anderer aromatischer Käse, der gut schmilzt
  • 100 g frisch geriebener Grana Padano
  • 2-3 TL In Öl eingelegte Knoblauchstückchen mit Peperoncini
  • Salz

Das Rezept von der Verpackung – Nochmal übersetzt:

🌾 Die Kartoffelwürfel in reichlich Salzwasser kochen. Lassen Sie es 5/8 Minuten lang kochen und fügen Sie dann das grob gehackte Gemüse hinzu (nach Wahl: Kohl, Spinat oder Rippchen). Zum Kochen bringen, die Pizzoccheri hinzufügen und 10/15 Minuten kochen lassen.

🌾Alles abtropfen lassen und schichtweise auf einen Servierteller legen. Jede Schicht mit kleinen Stücken fettarmem Käse (z. B. Milchkäse, Casera oder ähnlichem) bestreuen, mit geriebenem Parmesan bestreuen und mit reichlich Sauce aus mit Knoblauch (oder Salbei) gebratener Butter und einer Prise Pfeffer würzen. Servieren Sie sie sehr heiß.

Anmerkung meinerseits: Die Knoblauchsauce mit Salbei gibt dem schweren Rezept noch einen richtigen Dreh! Ich habe in Olivenöl eingelegte Knoblauchstückchen mit Peperoncini verwendet. Die Schärfe gibt dazu noch einen zusätzlichen Kick! Ein Hauch Säure kommt vom darüber geriebenen Parmesan (oder noch besser: Grana Padano) und natürlich vom Mangold samt seiner feinen herben Bitterstoffe. Also alles drin an Geschmacksnuancen.

Statt einer Auflaufform habe ich diesmal eine schwere Eisenpfanne verwendet und die Pizzoccheri darin mit dem Käse eingeschichtet. Wenn alles sehr heiß ist, braucht es ein Überbacken im Backofen nicht mehr.

Und bei den Pizzoccheri ist es wie bei den Linsen und Spätzle, sie ersetzen jedes Fleischstück. So gehaltvoll und eiweißreich sind sie. Und sie schmecken so köstlich, dass man sie am liebsten jede Woche essen möchte.

Apropos Spätzle: In der Schweiz gibt es ein ganz ähnliches Gericht: die ‚Pizokel‘. Sie werden jedoch meist nicht mehr aus Buchweizenmehl hergestellt, damit ähneln sie eher den schwäbischen Spätzle oder unseren badischen Knöpfle.

Und noch ein paar Sätze zu den wertvollen Inhaltsstoffen

„Die kleinen, braunen Körner übertreffen alle Getreidearten. Sie enthalten zwei- bis dreimal so viel an lebenswichtigen Eiweißbausteinen Lysin, Arginin und Tryptophan wie anderes Getreide. Dazu kommen viel Lezithin, reichlich Kalzium, Eisen, Kalium, Magnesium, Kieselsäure und die Vitamine B1, B2, B3, Vitamin E sowie Spuren von Kupfer und Kobalt. Zusätzlich enthält Buchweizen weitere sekundäre Pflanzenstoffe wie Phenolsäuren und Phytinsäure. Die Nährstoffe setzen sich wie folgt zusammen: 71 Prozent Kohlenhydrate, 9,8 Prozent Eiweiße*, 1,7 Prozent Fett und 4 Prozent Ballaststoffe. An den Schalen der Körner haftet der rote Farbstoff Fagopyrin. Er sollte mit heißem Wasser vor dem Kochen unbedingt entfernt werden, da dieser Lichtdermatosen, also Hautirritationen hervorrufen kann. Buchweizen bringt Power für Körper und Gehirn. Allein durch den Gehalt an Lysin und Lezithin bringt Buchweizen das Gehirn in Schwung und kräftigt die Nerven. 70 Prozent seiner Fettsäuren sind ungesättigt und somit herzfreundlich [mehr dazu….]

*) In anderen Quellen ist der Eiweißgehalt mit 10 bis 18 % noch viel höher angegeben. Dazu hat dieses Eiweiß eine biologische Wertigkeit über 90. Daraus lässt sich auch der hohe Gehalt an essenziellen Aminosäuren ableiten, insbesondere Lysin, Threonin, Tryptophan und schwefelhaltigen Aminosäuren.

Quellen

Accademia del Pizzoccheri di TegliO

Cettina Vicenzino – Italia, das Beste aus allen Regionen

Eat Smarter – Buchweizen

Pro Specie rara Schweiz – Viano

Wikipedia – Echter Buchweizen

2 Antworten auf “PIZZOCCHERI, Valtellina und MANGOLD”

Hinterlasse einen Kommentar